Es ist so eine Sache mit den guten Vorsätzen. Alljährlich, wenn der Advent beginnt und das Weihnachtsfest naht, will ich eine Festtagsgeschichte schreiben, und alljährlich fehlen mir dann die Worte und Ideen. Jetzt aber bekomme ich weibliche Hilfe und Inspiration. Es ist die Erinnerung, die mir zur Seite steht und mich in Form dieser jahrzehntealten, fast schon verblassten Fotografie anspringt.
Die Weihnachtsgeschichte, die ich nicht mehr schreiben muss, weil sie das Leben längst geschrieben hat, beginnt wie ein Märchen: Es waren einmal fünf Buben, die erwartungsvoll dem nahen Weihnachtsfest entgegenblickten, was ihren liebevollen Eltern Sorge bereitete.
In der damaligen Zeit hat man jeweils als Weihnachtsgeschenk ein ausgetragenes Kleidungsstück ersetzt oder ein Pyjama, warme Finken oder selbstgestrickte Handschuhe verschenkt. Für Spielsachen oder für ein lukullisches Mahl ist in der siebenköpfigen Familie aber kein Geld übrig gewesen. Die Eltern haben darunter mehr als ihre Kinder gelitten und sich fortwährend überlegt, wie sie ihren fünf Buben Freude bereiten und auch ein paar Spielsachen verschaffen könnten. Sie haben sich dann Seidenpapier beschafft und in einer Bibliothek bebilderte Märchenbücher besorgt. Aus diesen Leihgaben sind dann unter fahrlässiger Missachtung von Bildrechten mit Bleistift und Seidenpapier Figuren auf Karton übertragen worden. Von Hand bemalt und rückseitig mit Holzstäbchen stabilisiert hat man diese Kartonminiaturen dann in eine grosse, auf der Innenrückseite ebenfalls bemalte Schachtel gestellt und den erfreuten Buben zu Weihnachten ein perfektes Minitheater geschenkt. Belebt worden ist das geniale Geschenk durch den Vater, der als Drehbuchautor und Regisseur für eine perfekte Inszenierung spannender Geschichten gesorgt hat. Dank Mutters Back- und Kochkünsten und einem aus dem zweiten Weltkrieg stammenden Rezeptbuch ist schliesslich aus den kargen Vorräten auch noch ein eigentliches Festmahl entstanden, und dieses Weihnachtsfest wird allen Beteiligten zeitlebens immer als schönstes in Erinnerung bleiben. Die Buben haben sich reich beschenkt gefühlt und sie konnten spüren, dass ihre Eltern glücklich gewesen sind.
Seither sind viele Jahre vergangen. Mittlerweile ist sogar Wohlstand eingekehrt. Man konnte und kann sich plötzlich dies und jenes leisten. So schön wie das hier beschriebene Weihnachtsfest wird trotzdem keines mehr sein. Wir werden jenes Fest und die Güte unserer Eltern nie vergessen. Sie haben uns Bescheidenheit und Nächstenliebe vorgelebt und uns in späteren Jahren erneut spezielle Weihnachtserlebnisse beschert. In den für uns wirtschaftlich besseren Jahren durften wir in der Altstadt unserer Wohngemeinde ausschwärmen und in ärmlichen Mietshäusern Geschenke verteilen. Das ist in einer Zeit gewesen, in der man noch „Bitte Thüre schliessen“ geschrieben hat, wirklich mit „Th“. Ich habe damals erlebt, was es bedeutet, wenn es in einem mehrgeschossigen Haus kein Badezimmer und für alle Parteien nur ein einziges WC im Parterre hat. Bescheidenheit muss mir deshalb niemand mehr verordnen. Was ich dank meinen gütigen Eltern erleben durfte, ist das grösste Weihnachtsgeschenk gewesen, das ich je bekommen habe und bekommen werde.
Manchmal duftet es an Weinachten nicht nach feinem Gebäck und nur nach Kohlsuppe. Wer dann den abgestandenen Mief einer ärmlichen Behausung mit weihnachtlicher Freude vertreibt, hat seine Weihnachtgeschichte bereits geschrieben.
Eine persönliche Anmerkung:
Dieser von mir verfasste Text ist schon einmal von Renate Blaes veröffentlicht worden. Er passt aber auch in die heutige Zeit. Deshalb habe ich ihn nicht verändert. Fortschreiben will ich die Geschichte an dieser Stelle aber nicht, weil weitere Kapitel für die Adventszeit zu traurig wären.