Die Arithmetik der Liebe
Mit der Liebe habe ich mich zeitlebens schwergetan, und meine Unbeholfenheit dauert an. Liebe kann ich zwar verschenken, annehmen schon weniger gut und einfordern überhaupt nicht. Damit jetzt aber kein Missverständnis entsteht, muss ich darauf hinweisen, dass hier nicht von meinem Liebesleben die Rede ist. Das hier beschriebene Problem habe ich mir selbst zuzuschreiben. Eigenliebe ist mir fremd. In dieser Hinsicht bin ich schon als Kind ziemlich speziell gewesen. Immerhin kann ich Liebe empfinden. Ich bin schliesslich Vater, Grossvater, Ehemann, Verwandter und Freund.
Wenn ich mir überlege, wer von mir innige Zuneigung erwarten darf und sie auch bekommt, dann nähere ich mich bereits dem Titel dieses Beitrages. Ich würde wirklich gerne einmal mit einer Mathematikerin über die Liebe reden. In Verbindung mit dem Wort Liebe stelle ich nämlich oft arithmetische Überlegungen an. Immer wenn jemand sehr früh aus dem Leben scheidet und ich nach tröstenden Worten für die Hinterbliebenen suche, ist das zum Beispiel der Fall. Ich behaupte dann, natürlich mit situationsgerechten Worten, dass einem kurzen und einem langen Leben die gleiche Portion Liebe zusteht. Das erlaubt mir die Feststellung, der früh verstorbene Mensch habe zeit seines Lebens weit überdurchschnittlich viel Liebe erfahren. Für die Trauernden wirkt das wirklich tröstlich.
Eigentlich ist meine Betrachtungsweise ziemlich widersinnig, und sie wäre bestimmt leicht zu widerlegen. Ihrer tröstlichen Wirkung wegen möchte ich jedoch das genaue Gegenteil erreichen. Ich suche den mathematischen Beweis für die Richtigkeit meiner Behauptung. Ob ich ihn finde, weiss ich nicht. Vorsorglicherweise werde ich aber in Zukunft möglichst viel Liebe verteilen, damit die noch zu findende Formel in jedem Fall aufgeht. Gleiches empfehle ich auch Ihnen. Vielleicht - nein sicher - steht dann bald einmal auf einer von Ihnen verschenkten Liebesportion „Return to Sender“.