News-Schmalkost in XXS-Grösse
Replik auf ein Interview mit Rolf Dobelli im Tagesanzeiger vom 31. August 2019
Wie ist es zu verstehen, wenn der vielschreibende Bestsellerautor Rolf Dobelli als bekennender Liberaler und FDP-Sympathisant von unsern Bundesräten nur gerade die zwei von der SP und einen der SVP namentlich nennen kann? Ich weiss nicht, was ich davon halten soll! Allerdings passt es zu Herrn Dobellis Anti-News-Statement, wonach er gänzlich aufs Zeitungslesen und Fernsehen verzichtet. Er begründet es damit, dass News die Realität verzerren, und meint damit wohl, zuviel Information verzerre die Wahrnehmung. Wer aber, wie Herr Dobelli, genau weiss, wo er sich im politischen Spektrum selbst positioniert, braucht ausreichend Kenntnisse des aktuellen Geschehens, und er muss selbstverständlich auch die wichtigsten Verantwortungsträger des Landes kennen. Daran kommt nicht vorbei, wer mitreden und teilhaben möchte. Der Autor, dessen Bücher auf sämtlichen Büchertischen obenauf liegen, bleibt mir deshalb ein schreibendes Rätsel, und ich frage mich, wie er es schaffen will, bei derart rigidem News-Regime die grösseren Zusammenhänge zu erfassen. Kompetenz, von der Herr Dobelli gerne spricht, bedeutet schliesslich nicht, sich auf ausgewählte Themenkreise (er spricht von „Kompetenzzirkeln“) zu beschränken. Vielmehr geht es eben gerade darum, immer wieder von neuem die richtige Auswahl zu treffen und aus der täglichen Informationsflut das Relevante herauszufiltern. Erst danach kann man sich mit gutem Gefühl auf das Wenige konzentrieren, das vermeintlich zählt. Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, ideologisch Gefärbtem nicht auf den Leim zu kriechen, Sensationelles als aufgeplustert oder gar unwahr zu entlarven – das setzt mitunter echte Kompetenz voraus. Nur wer sich indessen die Mühe macht, selbst zu sortieren, hat die optimale Gewähr, nichts zu verpassen. Konfektionierte, getrimmte und vorsortierte News-Schmalkost in XXS-Grösse stillt höchstens den kleinen Nachrichtenhunger zwischendurch. Zum Überleben braucht es mehr.
ps
Sollte ich die von mir selbst gesetzte Kompetenz-Hürde nicht geschafft und infolge meines unwählerischen Zeitungskonsums die eventuelle Ironie überlesen haben, entschuldige ich mich und bitte Herrn Dobelli um Nachsicht...