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SALUZER Der BLOG

Schreiben, was wir denken - unabhängig und unbeeinflusst. Das wollen wir. Unsere Texte werden kritisch, politisch, besinnlich und kulturell geprägt sein und immer wieder durch etwas Neues, nicht selten auch Amüsantes, ergänzt werden. Kommentare und Textbeiträge nehmen wir jederzeit gerne entgegen. Sie werden von uns wahlweise veröffentlicht oder als Anregung verstanden.

 

SALUZER Der BLOG Final

 

Lehrer Dungs und das Sofa

Wenn ich mich an meine viele Jahrzehnte zurück liegende Schulzeit erinnere, muss ich meinen Rückblick eigentlich auf zwei Beiträge verteilen, denn als Primar- und als Sekundarschüler habe ich mich buchstäblich in zwei Welten bewegt. Ich fange daher mit der Primarschulzeit an, ohne mich vorerst zu einem späteren Rückblick auf meine wenig glanzvolle Sekundarschulzeit zu verpflichten.

In den Fünzigerjahren konnte bzw. musste man als Primarschüler Unglaubliches erleben. Es hat, was man sich heute kaum mehr vorstellen kann, Lehrer mit perfekten Deutschkenntnissen gegeben. Sie wussten auf fast alles eine Antwort und konnten sogar rechnen. Einzig Themen, die man heute locker und freizügig diskutiert, durfte man bei ihnen nicht ansprechen. Wer ihrem Kodex nicht entsprach oder sogar Fehler machte, der lebte gefährlich. Physisches und psychisches Quälen war nämlich an der Tagesordnung. Die über alles erhabenen Schulmeister liessen sich dieses Vergnügen nicht nehmen. Sie sprachen sogar von Pflichterfüllung, wenn sie zur Folter schritten.

Ich kann mich noch gut erinnern, was seinerzeit einer herzigen, leider aber Nägel kauenden Zweitklässlerin passiert ist. Lehrer Dungs, der eigentlich nicht so geheissen hat, aber von meinem kleinen Bruder so genannt worden ist, hat sich für meine liebenswerte Mitschülerin Grausiges einfallen lassen. Sie, die ich hier Marietheres nenne, musste jeweils zu Beginn der Stunde vor die Klasse treten und sich alle Fingernägel mit echtem Hühnermist bestreichen lassen. Anschliessend wurde ihr eine geflochtene Schnur mit einem daran baumelnden „Nuggi“ umgehängt. Wir hatten das schreckliche Prozedere stehend mitzuverfolgen und sollten - was man mir nie abringen konnte - des Lehrers Heldentat mit Applaus honorieren. Anschliessend durfte sich die Klasse jedoch nicht setzen, denn jetzt liess der mit Taktstock und Stimmgabel bewehrte Dungs uns doch tatsächlich ein von ihm komponiertes Marietheres-Schmählied singen. Mir hat beim Anblick meiner längst weinenden Klassenkameradin natürlich die Stimme versagt, und das ist für Marietheres ein Glück gewesen. Nun hat sich Dungs nämlich mir gewidmet. Er liess mich mit nackten Knien auf ein vierkantiges Holz knien und beide Arme mit den Handflächen nach vorne halten, damit er auf jede Hand drei Bücher legen konnte. Die durften anschliessend nicht herunter fallen. Sie haben es natürlich trotzdem getan und Dungs jedes Mal ein weiteres Vergnügen bereitet. Die Strafe für mich folgte nämlich auf dem Fuss. „Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger zusammenhalten und die Hände mir entgegenstrecken!“ lautete der Befehl. Anschliessend kam der Massstab zum Einsatz. Im Gegensatz zu anderen Schülern ist mir diese Tortur vergleichsweise jedoch selten widerfahren, weil Dungs an meinen schulischen Leistungen nichts aussetzen konnte.

Jürg Sch. hatte es bedeutend schlechter. Er ist von Dungs regelmässig verprügelt worden und hat sich deswegen einmal für drei Tage im Keller eines fremden Hauses versteckt. Ich bin übrigens bei einer gegen Jürg Sch. gerichteten Dungs-Schandtat Mittäter gewesen. Die Lieblingsfrage von Dungs „Wie nennt man das, wenn 22 Idioten einem runden Ding nachrennen?“ musste ich zwar nicht beantworten. Mit Fussball haben wir uns aber trotzdem beschäftigt, denn Jürg Sch. hatte eine gigantische Sammlung von „Tschutti-Bildli“, deren vollständige Vernichtung wir Schüler unter Androhung einer schweren Klassenstrafe im Weigerungsfall übernehmen sollten. Zum Erstaunen von Dungs habe ich ihm gesagt, ich würde diese Aufgabe freiwillig übernehmen und alles allein in der Pause erledigen.

So ist es denn auch passiert und bis zum Beginn der nächsten Stunde vollbracht worden. Ich konnte Dungs stolz den Papierkorb mit dem zerstörten Teufelszeug zeigen und sogar ein grosses Lob einheimsen, weil ich den schlimmen Schund gleich anschliessend zum Kehricht-Container gebracht habe. Dabei liess sich die mehrheitlich unversehrt gebliebene Sammlung von Jürg Sch. bestens verstecken. Entsorgt habe ich jedenfalls nur das Altpapier und die wenigen wirklich zerissenen Bilder, mit denen Jürgs Schatz camoufliert worden ist. Weil die mehrfach vorhandenen Bilder in Jürgs Sammlung direkt hinter einander eingereiht worden sind, musste ich übrigens nicht ein einziges Unikat vernichten. Ich weiss nicht mehr, wer am Schluss mehr gestrahlt hat - Dungs der Schreckliche oder Jürg der Glückliche.

Dungs Unarten wirken bis heute nach. Ich kann sie nicht vergessen, obwohl ich später Rache geübt habe. Zusammen mit meinem leider längst verstorbenen Bruder musste ich einmal in einem Mehrfamilienhaus eine Wohnung räumen. Dabei sind wir ganz überraschend Dungs begegnet, der selbstverständlich über unser Tun informiert werden wollte. Kurzatmig, weil ein für die Abfuhr bestimmtes Sofa tragend, haben wir ihm Antwort gegeben und das an sich zu entsorgende Möbelstück gebührend gelobt. Dass wir das Sofa daraufhin in Dungs Stube stellen und gegen dessen eigenes tauschen mussten, versteht sich von selbst. Daher ist in Chur ein zwar abgegriffenes, aber recht stabiles Sofa im Kehricht gelandet. Gelandet, allerdings auf dem Boden, wird wohl anschliessend auch Dungs sein. Dungs erste Sitzprobe auf dem der Abfuhr entrissenen und aus nackter Gier eingetauschten Sofa hat meinen Bruder und mich glücklicherweise nur Versengeld gekostet.

Seit Dungs Zeiten hat sich viel geändert. Folter gibt es trotzdem noch. Sie ist jedoch subtiler geworden und wird sogar fast unbewusst ausgeübt. Ich spreche von der Missachtung aller Rechtschreibregeln. Wenn Dungs noch leben würde, müsste ich mich aber ebenfalls korrigieren, denn nach neusten Erkenntnissen würde man für seinen Namen nur noch die ersten vier Buchstaben verwenden. Sie wissen ja, was Dung bedeutet. Ich meine aber nicht das tibetische Musikinstrument...

Der verwöhnte Geist

Vorausschicken muss man den nachfolgenden Betrachtungen, dass Verwöhnte regelmässig Schaden nehmen. Wer alles bekommt und sich um nichts bemühen muss, wird durch solches Verwöhnen unselbständig, träge und nicht selten sogar charakterschwach. Das gilt auch für jene Teile des Gehirns, die ich meine, wenn ich von einem verwöhnten Geist spreche. Sprachlich ist meine Bezeichnung sicher nicht korrekt, und in einem medizinischen Fachbuch wird man sie bestimmt nicht finden. Weil ich es für einprägsam halte, wenn in bestimmten Fällen von einem verwirrten Geist die Rede ist, passt dieses Wort aber durchaus. Zudem bilden der verwirrte und der verwöhnte Geist nicht selten eine Einheit.

Ein Opinion Leader geht bestimmt häufig davon aus, dass er alles weiss und dass seine Meinung die einzig richtige ist. Mit entsprechender Ausstrahlung macht er diese Selbsteinschätzung zum allgemein gültigen Massstab. Wenn der eigene Glanz durch ein politisches Amt und/oder ein grosses Vermögen verstärkt wird und man vielleicht - aus welchen Gründen auch immer - sogar prominent ist, steht die eigene Glaubwürdigkeit ausser Frage. Dann wird der Geist arbeitslos und verwöhnt. Weil ich nicht prominent oder ein Politiker bin und auch nicht über ein grosses Vermögen verfüge, darf ich mich mit Fug und Recht zum gemeinen Volk zählen. Ich kann daher durchaus kompetent beurteilen, wie jemand mit verwöhntem Geist von aussen auf einfache Menschen wirkt. Was im Kopf eines Leaders drinnen vor sich geht, lässt sich allerdings höchstens erahnen.

Wenn sich der verwöhnte Geist nicht mehr anstrengen muss, weil die persönliche Macht alle Selbstzweifel verhindert, wird es schlimm. Dann kann sogar der einfachste Zeitgenosse den inneren Schaden von aussen erkennen. Der Zerfall beginnt. Lernfähigkeit und Lernbereitschaft sterben zuerst. Dafür wächst aus ihrer Asche der Egoismus, ungeheuer schnell und unkontrollierbar. In echten Betonköpfen lässt sich dieser unsympathische Neophyt dann kaum mehr ausrotten. Er überwuchert alles, wie das Myzel eines Spaltpilzes. Das ist tragisch, denn es stirbt ja nicht nur der verwöhnte Teil des Gehirns ab. Das Gute, das als kleiner Restposten noch vorhanden wäre, überlebt nämlich ebenfalls nicht.

Der Mensch mit dem verwöhnten Geist kann sich bald einmal nur noch auf seine Macht verlassen. Diese setzt er dafür mit brachialer Gewalt für sich ein. Er merkt nicht, dass er sich selbst längst zur Charakterruine gemacht hat. Das spürt er erst, wenn seine Macht zusammenbricht und der Respekt des Volkes einem mitleidigen, sogar spöttischen Lächeln weicht. Dann hat der verwöhnte Geist sein zerstörerisches Ziel erreicht.

Eigentlich müsste man sich über den Zerfall freuen. Die Langsamkeit, mit der er voranschreitet, dämpft die erwartungsvolle Freude allerdings sehr. Ich würde daher den Geist von Assad, Erdogan, Putin, Trump + Co. gerne mit echtem Kraftfutter dopen. Dafür ist leider aber die Aufnahmefähigkeit in den Köpfen der hier Genannten sicher nicht vorhanden - wahrscheinlich sogar nie vorhanden gewesen.

Vom ersten bis zum letzten Mal

Wenn ich mich an meine frühen Jugendjahre erinnere, wird mir plötzlich bewusst, wie bedeutsam das berühmte erste Mal gewesen ist. Sobald ich jedoch weniger weit zurückdenke, halte ich jedes letzte Mal für viel bedeutsamer. Ein solches hat besonders dann eine grosse Dimension, wenn man erst im nachhinein merkt, dass etwas sich definitiv nie mehr wiederholen wird. So ist es sicher auch Ihnen schon ergangen.

Ich habe schon viele kluge Ratschläge gehört und gelesen, leider aber trotz vorhandener Einsicht doch nicht befolgt. Dass man sich immer so verabschieden solle, wie wenn es kein Wiedersehen mehr gäbe, ist mir schon oft gesagt worden. Beherzigt habe ich diesen Rat aber viel zu selten. Das geht mir jedes Mal durch den Kopf, wenn ich mit einem unerwarteten Todesfall konfrontiert und entsprechend voller Reue bin. Als lernfähig erweise ich mich in diesem Punkt trotzdem nicht. Der nächste Reueschub wird daher wohl nicht lange auf sich warten lassen. Ich hoffe allerdings, wenigstens keine lieben Menschen mehr überleben zu müssen.

Es ist aber nicht immer eine Frage von Leben und Tod, wenn man das letzte Mal als solches erkennen will, bevor es stattfindet. Die letzte echte Liebesnacht vor einer endgültigen Trennung, die letzte Fahrt am Steuer des eigenen Autos, der letzte Aufstieg auf einen vertrauten Berg oder die letzte Nacht im langjährigen Heim, das alles sollte man beim letzten Mal im Bewusstsein der unwiederholbaren Einzigartigkeit erleben. Das misslingt viel zu oft, und dann verspürt man nur noch eine lang anhaltende Wehmut. Wehmütig werde auch ich, wenn ich daran denke, dass mir das jederzeit passieren kann. Deshalb wünsche ich mir, zum ersten Mal ein letztes Mal mit einer nur vermeintlichen Letztmaligkeit zu erleben.


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